Ein Großer der Stadtpolitik

Die Bedeutung Udo Botzenharts ist in Stein gemeißelt: „Söflinger Urgestein mit Blick fürs Ulmer Ganze.“ So lautet die Inschrift eines Reliefs, das seit 2006 in die Söflinger Klostermauer eingelassen ist. Der Ulmer Künstler Hermann Geyer verwirklichte mit dem Relief eine Idee des Oberbürgermeisters Ivo Gönner, der zum 50-jährigen Bestehen der Unabhängigen Wählervereinigung Ulm-Söflingen deren beherrschende Gestalt ehren wollte. Mit einem sichtbaren Zeichen am bedeutendsten Gebäude der Vorstadt, das Einfluss hatte auch auf die Geschichte Ulms. Wem wird je eine solche Auszeichnung zu Lebzeiten zuteil?

Und doch: Die Inschrift ist Untertreibung. Prägende Figur der Ulmer Kommunalpolitik über vier Jahrzehnte, OB-Macher, Wegbereiter der Universität, Gründer der Ulmer Knabenmusik, der heutigen, hochdekorierten Jungen Bläserphilharmonie Ulm – das alles verbirgt sich hinter dem schlichten „Blick fürs Ulmer Ganze“. Ulm hat Udo Botzenhart viel zu verdanken.

Dennoch passt die Inschrift des Reliefs zu Botzenhart. Er hatte Bedeutung – sah sich aber nicht gern im Mittelpunkt. Er war wichtig – trat aber nicht so auf. Seinen 50. Geburtstag zum Beispiel feierte der bodenständige Unternehmer – Markenzeichen: Hut – in der Turnhalle der TSG Söflingen, des Vereins, den er 35 Jahre lang leitete. Ein Vereinsfest mit Wurst, Wecken, Blasmusik. Keine ausufernden Reden, keine Bücklinge, keine Lobhudeleien.

Mit der Rhetorik hatte es der gebürtige Söflinger ohnehin nicht. Er hatte Witz, Biss und Ironie, aber lange Reden waren nie sein Ding. Er kam lieber ohne Umschweife zur Sache. Legendär sein Satz, der in Diskussionen im Gemeinderat häufig zu hören war: „Herr Oberbürgermeister, des send Tatsacha.“

Dieser Oberbürgermeister war lange sein enger Freund Ernst Ludwig – ein scharfer Analytiker und geschliffener Redner. Dass der CDU-Mann Ludwig überhaupt OB wurde, hat er dem FWG-Fraktionschef Botzenhart zu verdanken. Der erkannte früh Ludwigs politisches Talent und sorgte dafür, dass er sich parteiintern gegen den damaligen CDU-Fraktionschef Karl Friedrich Kirchner durchsetzte. Eine herbe Niederlage für Kirchner, der später Ludwigs Politik aber loyal unterstützte.

Gemeinsinn statt Eigensinn, das trieb Botzenhart nicht nur als Politiker um – obgleich er selbst durchaus zum Eigensinn neigen konnte. Er war auf vielen Feldern aktiv, ackerte unermüdlich fürs Gemeinwohl, legte als TSG-Vorsitzender den Grundstein für die finanzielle Solidität des Sportvereins, formte den Musikverein Söflingen zur Stadtkapelle Ulm. Und er, der gern mit seiner Kulturferne kokettierte, gründete die Knabenmusik und war so ein Wegbereiter des städtischen Schul- und Jugendmusikwerks, Vorläufer der heutigen Musikschule.

Weichen stellte ein so einflussreicher Stadtrat wie Botzenhart natürlich auch politisch. Um nur eine zu nennen: Er war eine der treibenden Kräfte, die zur Gründung der Universität führten. Botzenhart hatte 1975 den Anstoß für die Übertragung der städtischen Krankenhäuser ans Land Baden-Württemberg gegeben. Ein zunächst umstrittener Vorschlag, der dem Land aber den Bau einer Klinik ersparte. Auf die vereinbarte Gegenleistung mussten Botzenhart und Ulm jedoch lange warten: Der versprochene Neubau der Chirurgie wurde erst 2012 eröffnet.

Wenn einer so viel umtreibt wie Udo Botzenhart, wo bleibt dann die Familie? Seine Tage gehörten der Firma und der Politik, die Abende den Vereinen. Für die Familie, für Tochter Dorothee und die Söhne Christoph und Markus, war Udos Frau Pia da. Sie war es, die alles zusammenhielt – und ihrem Mann den Rücken frei.

Einmal jedoch machte er Schluss mit der Politik. 1991 herrschte wegen einer geschlossenen Deponie Müllnotstand, und es wurde ein Nachfolger für OB Ludwig gesucht. Der mit feinem politischen Gespür begabte Botzenhart sah den Sieg des Sozialdemokraten Ivo Gönner bevor, verweigerte dem CDU-Mann Kirchner die Gefolgschaft und zog sich aus dem Rat zurück. Ein Fehler, wie er bald eingestand: Politik sei nun mal fast sein Leben. Drei Jahre später kehrte er als Stadtrat zurück.

Gönner und Botzenhart hatten im Übrigen einiges gemein. Nicht von ungefähr sagte Gönner im Interview, das in der 2009 erschienenen, von Barbara Schäuffelen, Wolf-Dieter Hepach, Hans-Uli Thierer und Michael Wettengel verfassten Biografie abgedruckt ist, er habe von ihm einen Lehrsatz übernommen: „Am Grünen Tisch lösen wir nichts. Wir sind Praktiker.“

Ohne den Ratstisch ging freilich auch nichts. Bloß Schwatzhaftigkeit war Botzenhart ein Graus. „Habe ich ohne wichtigen Grund an einer Sitzung teilgenommen oder eine beantragt?“, fragte er einmal. „Habe ich ohne einen wichtigen Grund Anträge und Anfragen gestellt? Lieber Gott, hilf mir, dass ich nicht in Versuchung komme, so zu handeln.“

Udo Botzenhart ist am Donnerstag im Alter von 92 Jahren gestorben.

Quelle: SWP – Chirin Kolb